Wo waren wir? Ach ja, beim Ende unserer weiteren Pläne, hier:
Weil es mir einfach nicht besser gehen möchte, entschließe ich mich, nicht mit zum Tauchparadies zu fahren, sondern zurück nach Kota Kinabalu. Vorher nehme ich noch Kontakt mit meiner Krankenversicherung und meiner Tauchschule auf. Die Versicherung, der dänische Konzern ihi Bupa (abgeschlossen erst eine Woche zuvor über World Nomads, einem Spezialisten für Langzeitreisekrankenversicherungen), reagiert sofort. Nicht nur, dass die Behandlung von Tauchunfällen abgedeckt ist, sie organisieren sogar einen Tag später, ein Sonntag, ein Telefongespräch mit einem dänischen Arzt, einem Tauchspezialisten. Nachdem er sich die Symptome beschreiben lässt, diagnostiziert er DCS.
Ähnlich hilfreich ist der Betreiber der Tauchschule. Ihm gelingt es, Kontakt zu einer Ärztin aufzunehmen, die in einer Navy Station arbeitet, die eine halbe Stunde nördlich von Kota Kinabalu liegt. Dort gibt es eine Dekompressionskammer, falls es wirklich DCS sein sollte.
Wie mit der Ärztin verabredet, stehen wir am Montag Morgen am Eingang des Stützpunkts, um von den Sicherheitsbeamten zu hören, wir könnten auf gar keinen Fall das Gelände betreten. Wir müssten eine Sicherheitsklärung vorweisen. Die gäbe es in Kuala Lumpur und benötige in etwa zwei Wochen Zeit. Es endet damit, dass die Ärztin einen Krankenwagen an den Eingang schickt, der mich an den Wachen vorbei zum Krankenhaus fährt. Nach kurzer Untersuchung der Ohren, des Blutdrucks und des Blutsauerstoffs bestätigt sie die Diagnose. Etwas irritierend ist allerdings, dass der dänische Arzt am Telefon noch etwas von Röntgenaufnahmen und weiteren Tests gesagt hatte, um die Diagnose zu bestätigen. Nichts davon benötigt die Frau Doktor hier und meint, ich müsse für zwei Stunden und 15 Minuten in die Dekompressionskammer, allerdings nicht heute. Zunächst müsse noch der reine Sauerstoff für die Kammer organisiert werden. Was prompt an meinen Tauchschulbetreiber delegiert wird.
Und dann stellt sich noch das Problem, wie wir am kommenden Morgen in die Basis reinkommen sollen. Die Dekompressionskammer unbemerkt zu betreiben trauen sie sich offenbar nicht zu. Nach langem Hin und Her muss ich wieder ins öffentliche Krankenhaus, um eine Überweisung zu erhalten. Dort wurde zum Glück schon telefonisch Bescheid gegeben und es geht alles relativ glatt. Nach zwei Stunden Wartezeit werde ich in einen nicht klimatisierten Krankenwagen gesetzt, in dem vor lauter Hitze jeder Notfall sicher in kürzester Zeit keiner mehr wäre und wieder zum Navy Stützpunkt gefahren. Weitere zwei Stunden später ist die Kammer betriebsbereit und ich darf hinein.
Falls etwas schief gehen sollte, sitzt neben mir ein Assistent, der kein Wort Englisch spricht. Die Luft pfeift in den klaustrophobisch engen Raum, der Druck auf den Ohren wächst. Auf 18 Meter Tiefe werde ich wieder hinuntergebracht, atme die meiste Zeit reinen Sauerstoff und innerhalb von zwei Stunden und 15 Minuten langsam an die Oberfläche geholt. So verflüssigen sich die Gase im Gewebe wieder und werden anschließend hoffentlich an die Umwelt abgegeben. In kürzester Zeit wird es heiß. Die Decke ist feucht von unseren Ausdünstungen. Um es wenigstens jetzt kurz zu machen, die zwei Stunden fühlen sich an wie fünf.
Als ich die Kammer verlasse, ist das Schwindelgefühl schlimmer als zuvor. Ich kann mich kaum auf den Beinen halten. Beim Test, beide Füße auf Stoß voreinander zu stellen, die Arme über der Brust zu verschränken und mit geschlossenen Augen eine Minute zu stehen, versage ich völlig. Das gesamte medizinische Personal reagiert überrascht. Die Sitzung hätte sofortige Wirkung zeigen sollen. Vielleicht weil die Behandlung erst so spät erfolgte? Nach zwölf Tagen anstatt Stunden, was eigentlich angebracht wäre. Keiner ist sich sicher.
Fest steht, ich muss nochmals rein. Beim zweiten Mal, einen Tag später, ist wenigstens der Assistent so, wie man ihn sich wünscht. Ein drahtiger Navytaucher, der die extremsten Geschichten unter Wasser macht, englisch spricht und unbedingt mit mir tauchen gehen möchte, wenn es mir wieder besser geht.
Diesmal scheint es geholfen zu haben. Kurz nach der Behandlung fühle ich mich so gut wie lange nicht mehr und bestehe den Schwindeltest. Das Personal freut sich riesig und jeder möchte mit mir und der Kammer Fotos machen, zudem, wo ich der allererste Patient war, der in ihr behandelt wurde.
Da sie nicht darauf eingerichtet sind, zivile Personen zu behandeln, wissen sie auch nicht so genau, was für eine Summe sie in Rechnung stellen sollen. Und davon hat eh nur die Navy etwas, nicht aber das Personal. Also löst man das Problem pragmatisch malaysisch mit dem Tauchschulinhaber. Der arme Kerl darf nun 20 Personen mit auf einen kostenloses Schnorcheltrip nehmen und weiteren zehn einen Open Water Tauchkurs für den halben Preis geben. Ich habe geredet wie ein Wasserfall, um eine Rechnung zu erhalten – nichts zu machen, keine Chance.
Am Abend im Bett ist wieder ein leichter Schwindel zu spüren. Auf Nachfrage meint die Ärztin jedoch, dass die Symptome innerhalb einer Woche verschwinden sollten. Dies wird auch vom dänischen Arzt per Email bestätigt, wenn er sich auch wundert, dass außer bei meinem ersten Besuch nie mehr Blutdruck, Puls und Sauerstoff überprüft wurden. Einen Tag später fühle ich mich immer noch deutlich besser, doch dann kommt leider ein Rückschlag und der Schwindel ist so stark wie zuvor.
Die Ärztin der Navy Station bestätigt erneut, dass die DCS keine Gefahr mehr für mich darstellt. Durch die beiden Sitzungen in der Kammer ist alles raus. Nach einer Woche Flugverbot, kann ich also die Weiterreise antreten. Den Flug nach Hongkong verschieben wir entsprechend auf den siebten April, die Flüge nach Nepal und anschließend nach Deutschland müssen wir wegen großen Höhe des Landes auf 4000 bis 5000 Metern stornieren. Die letzten fünf Nächte auf Borneo verbringen wir eine Stunde nördlich von Kota Kinabalu bei Kota Belud am Strand mit Nichtstun und hoffentlich Gesundschlafen.